Königin von Saba
Leben und Werke von Carl Goldmark
Carl Goldmark – Gemälde von H. Salzer 2010
Goldmark wurde am 18. Mai 1830 in Keszthely, Ungarn, geboren. Er war eines von 20 Kindern. Als er vier Jahre alt war, wurde sein Vater Kantor und Notar der jüdischen Gemeinde in Deutschkreuz, Burgenland. Seine frühe Ausbildung als Geiger absolvierte Goldmark an der Musikakademie von Sopron (1842–44). Später schickte ihn sein Vater nach Wien, wo er bei Leopold Jansa etwa achtzehn Monate studieren konnte, bevor sein Geld ausging. Er studierte Geige bei Joseph Böhm und Harmonie bei Gottfried Preyer. Die Revolution von 1848 zwang das Konservatorium zur Schließung.
Als Komponist war Goldmark weitgehend Autodidakt. In Wien unterstützte er sich selbst mit der Geige in Theaterorchestern, wodurch er praktische Erfahrungen mit der Orchestrierung sammelte, eine Kunst, die er bravourös beherrschte. Er gab auch Unterricht: Jean Sibelius lernte kurz bei ihm. Goldmarks erstes Konzert in Wien (1858) war ein Misserfolg.
Um über die Runden zu kommen, verfolgte Goldmark auch eine Nebenkarriere als Musikjournalist. Dabei zeichnete er sich durch seine gleichmäßige Unterstützung sowohl von Brahms als auch von Wagner aus, zu einer Zeit, als das Publikum und die meisten Kritiker sich in zwei feindliche Komponistenlager aufspalteten. Als Goldmarks Bekanntheit in Wien wuchs, entwickelte sich eine Freundschaft mit Johannes Brahms. Aber die schwierige Persönlichkeit von Brahms entfremdete die beiden wieder.
Zu den musikalischen Einflüssen, die Goldmark aufnahm, gehörte Richard Wagner. 1872 war Goldmark ein herausragendes Gründungsmitglied der Wiener Wagner-Gesellschaft. Aber Wagners Antisemitismus stand jeder echten Wärme zwischen ihnen im Weg.
Goldmark wurde zum Ehrenmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde ernannt, erhielt die Ehrendoktorwürde der Universität Budapest und teilte mit Richard Strauss eine Ehrenmitgliedschaft in der Accademia die Santa Cecilia in Rom.
Carl Goldmark im Alter, als er die „Königin von Saba“ komponierte
Die Königin von Saba (Op. 27) wurde am 10. März 1875 in Wien uraufgeführte. Sie war so beliebt, dass sie bis 1938 ununterbrochen im Repertoire der Wiener Staatsoper blieb. Goldmark komponierte noch sechs weitere Opern, die sich teilweise wie Das Heimchen am Herd (nach Charles Dickens) ebenfalls größter Beliebtheit erfreuten.
Sein erste Symphonie Die ländliche Hochzeit (Op. 26, Uraufführung 1876), die Sir Thomas Beecham in sein Repertoire aufnahm, umfasst fünf Sätze: ein Hochzeitsmarsch mit Variationen auf die Hochzeitsgäste, ein Hochzeitslied, ein Ständchen, ein Dialog zwischen Braut und Bräutigam in einem Garten und einen Tanz. Eine zweite Sinfonie in Es-Dur (Op. 35) ist viel weniger bekannt.
Sein Violinkonzert Nr. 1 a-Moll (Op. 28), 1877 in Bremen uraufgeführt, war einst sein am häufigsten gespieltes Werk, geriet aber ebenfalls in Vergessenheit. Durch Aufnahmen von prominenten Violinensolisten wie Nathan Milstein (1963),und neuerdings Itzak Perlmann sowie Joshua Bell wird es inzwischen wieder aufgeführt. Goldmark schrieb ein zweites Violinkonzert, das jedoch nie veröffentlicht wurde.
Goldmarks Kammermusik, die zu Lebzeiten von Kritikern sehr gelobt wurde, ist heute kaum noch zu hören. Heraus ragen das Streichquartett in B-Dur (Op. 8) und das Streichquintett in a-moll (Op. 9), mit denen Goldmark in Wien bekannt wurde, , zwei Klavierquintette in B-Dur (Op. 30 und 54), die Violinsonate in D-dur (Op. 25), zwei Suiten für Violine und Klavier in D-Dur (Op. 11) und in Es-Dur (Op. 43) sowie die Cello-Sonate (Op. 39).
Seine umfangreichen Klavierwerke, darunter herausragend die autobiografischen Georginen (Op. 52) hat der ungarische Pianist Tihamér Hlavacsek auf vier CDs herausgebracht.
Goldmark komponierte einige Konzert-Ouvertüren wie die Sakuntala Ouverture (Op. 13) – ein Werk, das seinen Ruhm nach dem Streichquartett und Streichqintett begründete, die Penthesilea Overture (Op. 31), die Im Frühling Ouverture (Op. 36), die Der gefesselte Prometheus Ouvertüre (O. 38), die Sappho Ouvertüre (Op. 44), die In Italien Ouvertüre (Op. 49) und die Aus Jungendtagen Ouvertüre (Op. 53). Weitere Orchesterwerke sind das symphonische Gedicht Zrínyi (Op. 47) und zwei Orchesterscherzos in e-moll (Op. 19) und in A-Dur (Op. 45).
Goldmark leitete den Wiener Synagogenchor und komponierte zahlreiche Chorwerke und Lieder.
Am 2. Januar 1915 starb Carl Goldmark starb in Wien und ist zusammen mit vielen anderen bedeutenden Komponisten auf dem Zentrafriedhof begraben.
„Die Königin von Saba“ ‐ eine erfolgreiche Oper
von der Kritik verschmäht und von den Nazis gebannt
Die Königin von Saba, Carl Goldmarks Meisterwerk, wurde nach ihrer Uraufführung an der Wiener Hofoper 1875 eine der beliebtesten und in der Welt am häufigsten aufgeführten Opern. In Budapest mehr als 400 Aufführungen, in Wien 277. An der Metropolitan Oper in New York soll sie noch heute die meist gespielte Oper sein, obgleich sie dort schon lange nicht mehr aufgeführt wurde. Auch in Italien war sie besonders beliebt, ähnelt doch ihr melodischer Reichtum dem der Musikdramen von Verdi und Puccini. Sie gehörte zum Repertoire berühmter Dirigenten wie Gustav Mahler, Arturo Toscanini, Richard Strauss und Bruno Walter und der Solisten Enrico Caruso, Leo Slezak und Selma Kurz. Als orientalische Prunkoper inszeniert, passte sie in den Zeitgeist des Imperialismus vor dem 1. Weltkrieg. Einige Kommentatoren stilisierten sie sogar zur jüdischen Nationaloper, was Goldmark ablehnte.
Da Carl Goldmark ein jüdischer Komponist war, wurde die Aufführung der Oper in der Zeit des Nationalsozialismus verboten. Auch nach dem 2. Weltkrieg blieb sie weitgehend verschollen. Das Konzept der jüdisch-orientalischen Prunkoper passte nicht mehr in den neuen Zeitgeist. Ein weiterer Grund ist, dass die Mehrzahl der Kritiker sie seit ihrer Premiere mit antisemitischer Tendenz niedermachten. Sogar Eduard Hanslick, einer der einflussreichsten Musikkritiker bis heute, selbst jüdischer Herkunft, schmähte den „orientalisch-jüdischen Charakter“ der Oper „mit ihrer klagenden, winselnden Melodik“.
Die wenigen Versuche, die Oper nach dem 2. Weltkrieg aufzuführen, machten den Fehler, sie als tragische Liebesgeschichte im exotischen Ambiente zu inszenieren. Das traf nicht den damaligen Zeitgeist. Auch verfügten die Opernhäuser lange nicht die Mittel, „Grand Operas“ aufzuführen. Und es gibt Opern mit tragischen Liebesgeschichten im Überfluss.
Die dramatische Handlung
1. Akt : Eine Halle in Salomos Palast
Sulamith, die Tochter des Hohepriesters, wartet gespannt darauf, dass ihr Verlobter Assad von seinem diplomatischen Auftrag zurückkehrt, die Königin von Saba an der Staatsgrenze zu empfangen. Das Paar soll am nächsten Tag heiraten. Bei seiner Rückkehr in den Palast trifft Assad Salomo und offenbart ihm, dass er sich in eine mysteriöse Frau zwischen den Zedernwäldern des Libanon verliebt habe und Sulamith nicht mehr liebe. Bevor Salomo antworten kann, erscheint die Königin von Saba mit ihrem Gefolge. Als sie den König begrüßt, zieht sie ihren Schleier zurück und offenbart Assad, dass sie die mysteriöse Frau ist, die er auf seiner Reise getroffen hatte. Die Königin täuscht jedoch vor, Assad nicht zu kennen, was zu einer allgemeinen Verwirrung der Protagonisten der Oper führt. Salomo rät Assad, seine Vernarrtheit in die Königin aufzugeben und Sulamith zu heiraten.
Johann Kautsky – Palasthalle im Bühnenbild Hofoper Wien
2. Akt: Der nächtliche Palastgarten und der Tempel Salomos
Die Königin von Saba verlässt das Staatsbankett zu ihren Ehren im Palast und tritt in den Palastgarten. Sie singt von ihrer Liebe zu Assad und verflucht seine bevorstehende Ehe. Da informiert sie ihre Zofe Astaroth, dass Assad in der Nähe sei und lockt ihn auf Wunsch der Königin mit einem verführerischen, orientalisierenden „Lockruf“ zu ihrer Herrin. Assad antwortet mit der berühmten Arie „Magische Töne“. Assad und die Königin singen ein leidenschaftliches Duett, das in liebender Umarmung seinen Höhepunkt erreicht. Bei Tagesanbruch unterbricht der Tempelwächter das Schäferstündchen mit einem Aufruf an die Söhne Israels, zu beten.
In der folgenden Szene kommt die Hochzeitsgesellschaft in Salomos Tempel an. Der Hohepriester will Assad und Sulamith vor der Bundeslade verheiraten, als die Königin erscheint, um ein Hochzeitsgeschenk zu übergeben. Die Königin behandelt Assad weiterhin als Fremden. Darüber gerät Assad in Verwirrung und begeht Blasphemie, indem er sich zur Königin als seiner Göttin bekennt. Das führt zum Aufruhr. Das Volk fordert die Todesstrafe für Assad. Die Hochzeitszeremonie ist beendet. Assad wird abgeführt. Salomo verbannt Assad in die Wüste, behält sich aber die endgültige Entscheidung über sein Leben vor.
F. Waibler, Zeichnung der Schlussszene 1. Akt, „Die Königin von Saba“, Leipziger Aufführung, Quelle: Katalog zur Ausstellung in der Wien-Bilbiothek, 13. 2 – 27. 11. 2015
3. Akt: Der Hof König Salomos
Die Feierlichkeiten zu Ehren der Königin von Saba werden mit einer Aufführung des Bienentanzes fortgesetzt, einem Ballett und einem Bacchanal. Besorgt um Assads Schicksal, bittet die Königin Salomo, Assad zu begnadigen. Dieser lehnt ab und die Königin verlässt den Palast, mit Krieg drohend. Sulamith betritt zusammen mit ihren Gefährten den Hof und plädiert auch dafür, dass Assads Leben verschont werde. Salomo erkennt zwar das böse Spiel der Königin, erlöst aber Assad nicht aus seinem Wüstenexil, sondern prophezeit ein unheilvolles Schicksal von Sulamith und Assad. Verzweifelt verlässt Sulamith den Palast und sucht ihr Grab in der Wüste, unweit von Assad.
Akt 4: Die Umgebung von Sulamiths Rückzug in die Wüste
In der Wüste findet die Königin von Saba Assad und versucht, ihn zu überreden, ihr in ihr Königreich zu folgen. Sie erklärt ihm, warum sie ihn als Staatsgast dreimal verleugnet hatte, und will ihn erneut verführen. Aber diesmal weist Assad sie zurück, erklärt sein tiefes Bedauern über sein Verbrechen gegen Gott und möchte als Sühne sterben. Dann betet er für Sulamith, während mit der verschwindenden Königin ein heftiger Wüstensturm ausbricht. Später findet Sulamith ihn kaum noch lebend. Er bittet sie um Vergebung, bevor er in ihren Armen stirbt.
Die Protagonisten
Die Protagonisten der Oper besitzen überwiegend einen Bezug zur Bibel. Die Sulamith der Oper ist allerdings im Unterschied zum „Hohelied“ oder auch „Lied des Salomo“ im Tanach (Altes Testament), nicht, wie allgemein angenommen wird, die Geliebte Salomos, sondern seines Botschafters. Im Targum Sheni, der rabbinischen Interpretation zum Buch Esther des Tanach aus der Zeit zwischen dem 4. und 8. Jahrhundert heißt der Botschafter, der im Auftrag von Salomo die Königin von Saba an der Staatsgrenze empfängt, Benaiah. Warum haben der Librettist Salomon Hermann Mosenthal und Carl Goldmark dieser Hauptrolle der Oper den Namen Assad gegeben? Bei Assad im Unterschied zu Benaiah steht der Glaubenswechsel im Zentrum. Dazu entwickelt Prof. Dr. Werner Daum, ehemaliger deutscher Botschafter und Herausgeber sowie Autor des grundlegenden Sammelbands „Die Königin von Saba“ (Stuttgart, Zürich, 1988, 216 S.) folgende Begründung:
In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts war Wien das europäische Zentrum der Erforschung des vorislamischen Südarabiens: des uralten Reichs von Saba und seines Nachfolgestaates Himyar. Eine herausragende Figur bei der Erschließung der Quellen war der Wiener Alfred von Kremer. Zur Zeit, als das Libretto der „Königin von Saba“ entstand, veröffentlichte Kremer aus den von ihm gesammelten Handschriften zwei Texte „Himjarische Kasideh“ (Leipzig 1865) und „Über die südarabische Sage“ (Leipzig 1866). Sie behandeln die einheimische Tradition der Königin von Saba und die Hinwendung der jemenitischen Herrscher zum Judentum. Unter König (Tubba’) Malkikarib Yuha’min (375-400) wurden die Tempel der altarabischen Religion geschlossen und ein Monotheismus jüdischer Prägung eingeführt. Diesen Wechsel zum Judentum schrieb die arabische Tradition, wie sie Kremer in seinen Schriften dem interessierten Publikum vorlegte, seinem Sohn Abikarib As’ad (400–445) zu. Aus diesem „As’ad“ hat Mosenthal, den leichter auszusprechenden „Assad“ gemacht. Auch die dämonenhafte Natur der Königin steckt in den von Kremer edierten Texten.
Die neue Interpretation als Friedensoper
Kritiker wie Hanslick und seine Zeitgenossen verurteilen die Handlung der Oper sogar noch härter als „minderwertig“, „langweilig“, „konfus“ oder „Blödsinn, der sich selbst parodiert“. Ihr größtes Missverständnis und Manko war, dass sie sich nicht mit der jüdischen Interpretation der Königin von Saba Legende beschäftigten – die Folge eines inhärenten Antisemitismus.
Sie kannten höchstens die hierzulande populäre christliche Interpretation der biblischen Geschichte vom Besuch der betörend schönen, reichen und weisen Königin von Saba bei König Salomo und interessierten sich nicht dafür, dass sich die jüdische Version der Legende (und auch die muslimische) wesentlich von der christlichen unterscheidet. In der jüdischen Interpretation ist die Königin von Saba eine Dämonin.
Wird die Oper aus der jüdischen Interpretation der Königin von Sheba Legende betrachtet, ist das Libretto stringent und höchst dramatisch. Es hat ein großes Potenzial, als Friedensoper im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt interpretiert und inszeniert zu werden, was die Oper sehr aktuell macht und relevant für einen der hartnäckigsten und gewalttätigsten Konflikte der heutigen Zeit.
In Goldmarks Oper besucht die Königin von Saba Salomo nicht, um von seiner Weisheit zu lernen oder sie zu testen, wie es allgemein gesehen wird. Stattdessen ist der Besuch der Königin ein Staatsbesuch, dessen Ziel gesehen werden kann, Frieden zwischen Israel, Palästina und den arabischen Staaten zu schließen.
Der Dreh- und Angelpunkt des Dramas ist religiöser Hochverrat, zu dem die „heidnische“ Königin den männlichen Hauptprotagonisten der Oper, Assad, Botschafter (oder Sohn) des jüdischen Königs Salomo, verführt. Diese Apostasie führt zum Krieg – in der Oper zu einem „Wüstensturm“, der Codename des Golfkriegs (1990 – 1991).
Obwohl die Oper nicht mit einem Friedensschluss zwischen Salomo und der Königin endet, sondern mit dem Tod von Assad und seiner Geliebten Sulamith, gipfelt sie in bewegenden Arien von Assad und Sulamith (das weibliche Wort für Frieden auf Hebräisch) voller Friedenssehnsucht.
Friedensmusik
In der Musik der Oper findet sich sogar ein verborgenes Element, das ihre Interpretation und Neuinszenierung als Friedensoper unterstützt. Goldmark verwandelt die Friedensbotschaft in Musik. Er komponierte nicht nur „orientalistisch-jüdische“ Musik, wie Hanslick und seine Kollegen annehmen, sondern drei verschiedene Musikstile: westliche Romantik, jüdische Sakralmusik und was Goldmark im 19. Jahrhundert als arabische Musik empfand. Entsprechend der dramatischen Handlung werden diese Musikstile gegeneinander gesetzt.
Goldmark entwickelt jedoch auch Crossovers und Mischungen dieser Stile. Der Friedensforscher Dieter Senghaas bezeichnet diese Friedensmusik. In seiner Anthologie (zusammen mit Hartmut Lück) „Vom hörbaren Frieden“ (edition suhrkamp 2401, Frankfurt a. M. 2005, 606p.) verweist er auf den Barockkomponisten Georg Muffat, der 1695 feststellte, dass „Komponisten zum Frieden beitragen durch absichtliche Kombination verschiedener nationaler Musikstile “(S. 47). Senghaas verweist außerdem auf den ungarischen Komponisten Béla Bartók, dessen „leidenschaftlicher Wunsch war, diese Idee in (seiner) Musik zu erfüllen“. Bartoks Tanzensuite (1923) ist ein hervorragendes Beispiel für diese Art von Friedensmusik.
Dementsprechend ist die Verschmelzung antagonistischer Musikstile in der Königin von Saba ebenfalls als Friedensmusik zu sehen. Sie ist keine jüdische „Nationaloper“, wie es manche erklärten, was Goldmark abgelehnte. Sie ist auch nicht „die Hofoper der Habsburger Monarchie“, wie es andere meinten. Als der deutsche Kaiser Wilhelm II. bei seinem österreichischen Peer, Kaiser Franz Josef, auf Staatsbesuch weilte, musste die Königin von Saba für die beiden in der Hofoper aufgeführt werden. Im Gegensatz zu solchen nationalistischen Aneignungen in der Vergangenheit ist Die Königin von Saba eher universalistisch, eine Friedensoper im Kontext der alten jüdisch-arabischen Beziehungen.
Eine herausragende Oper der Geschlechterbeziehungen
Darüber hinaus hat die Oper eine einzigartige zweite Dimension: Geschlechterbeziehungen. Die jüdische Königin von Saba Legende geht so weit, die Königin mit Lilith zu identifizieren. Nach rabbinischer Bibelauslegung war Lilith Adams erste Frau. Sie war ihm gleichgestellt und verlangte Gleichberechtigung. Als Adam dies verweigerte, verließ sie ihn und wurde die kinder- und männermordende oberste Dämonin. Gott schuf an ihrer Stelle die gefügige Eva. Lilith rächte sich und war die Schlange, die Eva und Adam dazu verführte, von der verbotenen Frucht des Baums der Erkenntnis zu essen. Darauf verstieß Gott sie aus dem Paradies, und sie verloren ihre Unsterblichkeit.
Das Burney-Relief mit Lilith
Nach der Psychologie von Carl Gustav Jung verkörpern Lilith und Eva die Archetypen des Weiblichen. Die Frauenbewegung bezieht sich bei Lilith nur auf deren Wunsch nach Gleichberechtigung mit Adam und lehnt ihre Weiterentwicklung zur Dämonin ab. So ist Lilith zur Ikone der Frauenbewegung geworden.
In Goldmarks Oper entspricht die Königin von Saba Lilith und Sulamith Eva. Die Königin von Saba ist gespalten, einerseits die Dämonin und andererseits ein Staatsoberhaupt, das sich bei einem offiziellen Staatbesuch in den Vertreter des Staates verliebt, den sie besucht. Es ist daher verständlich, dass sie ihre Liebe offiziell leugnete, als sie erfuhr, dass ihr Geliebter gerade die Tochter des Hohepriesters, der Nummer zwei des Staates, heiraten sollte. In Wirklichkeit ist sie nicht die Dämonin, die Assad und am Schluss auch Salomo in ihr sehen.
Goldmarks Die Königin von Sheba hat daher das Potenzial, eine herausragende Oper der Geschlechterbeziehungen und sogar eine Kultoper der feministischen Bewegung zu werden.
Europäisch-afrikanische Beziehungen
Ein weiteres Potenzial der Oper bezieht sich auf die europäisch-afrikanischen Beziehungen. Im 12. und 13. Jahrhundert wurde der Königin von Saba eine prominente Rolle im christlichen Glauben zuerkannt, und plötzlich wurde sie auch als Schwarze dargestellt, manchmal offen als Afrikanerin.
Der Hauptbezugspunkt ihrer Würdigung war eine wütende Predigt, die Jesus Christus gegen die Pharisäer richtete, aufgezeichnet von Matthäus (12: 39-42) und Lukas (11: 29-32) Darin erklärt Jesus: „Am Tag des Gerichts wird die Königin aus dem Süden aufstehen und die Menschen von heute anklagen, denn sie kam vom Ende der Welt, um die weisen Lehren Salomos zu hören.“ Jesus verlieh der Königin von Saba nicht nur diese herausragende Bedeutung beim Jüngsten Gericht. Als „Königin des Südens“, die zum Christentum konvertiert war, musste sie aus den frühen christlichen Reichen am Nil in Nubien (dem heutigen Sudan) und Äthiopien stammen, d. h. aus Afrika und nicht aus dem muslimischen Arabien. Dieser Einschätzung ist zum ersten Mal 1181 Nicolaus Verdun gefolgt.
Führende Theologen des frühen Mittelalters (Bede von England, Herrad von Landsberg, Rupert von Deutz, Jacobus de Vogarine und Bernard von Clairvaux) identifizierten die Königin von Sheba mit der Kirche und erhöhten sie zur selben mystischen Gestalt wie die Jungfrau Maria. Den Besuch der Königin bei Salomo deuteten sie als die Präfiguration der Anbetung von Jesus Christus in Bethlehem durch die Heiligen Drei Könige, den ersten Heiligen. Folglich sahen sie in der Königin von Saba und König Salomo die Propheten der Ankunft Jesu Christi.
Marc Chagall – Das Hohe Lied
Eine weitere Erklärung für die schwarze Darstellung der Königin von Saba liefert das „Hohelied“ des Alten Testaments, „das schönste aller Lieder, von Salomo“. In diesem für die Bibel außergewöhnlich erotischen Gedicht zweier Liebenden ist der eine Salomo und die andere seine Braut Sulamith, die ausruft, „schwarz bin ich und schön“ (ausführlicher dazu in der Skizze zum Symposium von Pactum Africanum „Die schwarze Königin von Saba in Klosterneuburg“). Einflussreiche Theologen des Mittelalters wie Bernard de Clairvaux und Honorius von Augsburg identifizierten die schwarze Sulamith mit der Königin von Saba aus dem Süden.
In seinem faszinierenden Email-Kunstwerk hat Nicolaus von Verdun die Königin von Saba vermutlich zum ersten Mal in der Geschichte als schwarze Frau dargestellt. Bemerkenswert ist auch, dass sie in der Darstellung die dominante Person ist, die ihre Weisheit von oben auf den weisen König Salomon überträgt. Bei den meisten anderen der zahlreichen Kunstwerke zum Besuch dominiert König Salomo die Königin. Meist geht sie von unten auf ihn zu.
Nicolaus Verdun – Altar in der Klosterkirche Klosterneuburg, 1181
Der Verduner Altar ist eine visuelle Erzählung der Bibel als göttlichen Heilsplan. In drei horizontalen Tafelreihen werden die drei heilsgeschichtlichen Zeitalter der Bibel dargestellt, als obere Reihe die Epoche vor dem Empfang der 10 Gebote durch Moses („ANTE LEGEM“) und als untere Reihe die Zeit danach („SUB LEGEM“) bis zum Ende des Alten Testaments, der Zeit der Offenbarung Gottes, die noch auf das Volk Israel beschränkt ist. Die zentrale Reihe zeigt das messianische Zeitalter, die Erfüllung der alttestamentarischen Präfigurationen („SUB GRATIA“). Die jeweils drei übereinander liegenden Tafeln bilden entsprechend der Typologie Theorie vertikale Gruppen, in denen die alttestamentlichen Ereignisse und Personen die Vorbilder (Typen) des gnadenhaften Geschehens im Neuen Testament darstellen. Dementsprechend befindet sich die Anbetung der Könige in der zentralen Reihe und darunter der Besuch der Königin von Saba, als Vorbild der Anbetung. Die Tafel darüber erzählt die Geschichte von Abraham und dem Priesterkönig Melchisedech (Gen. 14,20). Abraham opfert Melchisedech den Zehnten der Beute seines siegreichen Feldzugs gegen König Kedorlaomer von Elam und die mit ihm verbündeten Könige.
Trotz der Tatsache, dass einer der weisen Könige seit dem 12. Jahrhundert auch als Schwarzafrikaner dargestellt wurde – durchweg als der letzte der drei – , sind alle drei Könige im Verduner Altar immer noch weiß.
Die Königin von Saba als Vertreterin der Tugend der Weisheit, Johannes Kapelle, Dom zu Brixen, 1218
Im gleichen Zeitraum des 12. und 13. Jahrhunderts wurde die Königin von Saba an anderen prominenten Orten als schwarze Frau dargestellt. In der Kathedrale von Brixen (Südtirol) ist sie in der Johannes Kapelle eine schwarze afrikanische Königin, die in führender Position die Tugend der Weisheit darstellt. Bischof Berthold von Neuffen hatte den Bau der Kapelle im Jahre 1218 nach seiner Rückkehr aus Jerusalem während des 4. Kreuzzugs beauftragt.
Linke Seite: Kölner Dom – Königin von Saba und Salomon, Älteres Bibelfenster 1260, Rechte Seite; Anbetung der heiligen Drei Könige
Im Kölner Dom ist die Königin von Saba zweimal als schwarze Königin dargestellt, zuerst im früheren Bibelfenster (1260), dem zentralen Fenster des Doms und im jüngeren Biblischen Fenster (1280). Im Drei-Könige-Teil dieses Fensters hat einer der Weisen eine dunkle Haut. Im späteren „Drei-Könige-Fenster“ des Kölner Doms (14. Jahrhundert) wird die Königin wieder als weiße Frau dargestellt. Die Königin von Saba erscheint auch als lebensgroße Figur im Drei-Könige-Portal an der Westfassade des Doms, das den Menschen die Ankunft von Gottes Sohn verdeutlicht.
Königin von Saba an der Kathedrale Notre-Dame, Chartres
In der Notre-Dame-Kathedrale von Chartres, frühes 13. Jahrhundert, erscheint die Königin von Saba im rechten Portal der Nordfassade zwischen den Standbildern, welche die Präfiguration und Prophezeiung des Alten Testaments darstellen Sie steht auf einem Afrikaner und verdeutlicht damit, dass sie Afrika beherrscht.
In der Notre-Dame-Kathedrale von Paris erscheint die Königin von Saba ebenfalls in dem Portal, das die Ankunft von Jesus Christus zeigt. Durch dieses St.-Anna-Portal betraten der König von Frankreich und seine Familie die Kirche.
In der Notre-Dame-Kathedrale von Reims wird der frühmittelalterliche Bedeutungsgewinn der Königin von Saba noch auf eine besondere Weise betont. Hier befindet sie sich im zentralen Portal. In einer Beschreibung heißt es: „Die Königin von Saba ist der Eckpfeiler der ikonografischen Botschaft, die das Skulpturenprogramm der Westfassade zum Ausdruck bringt. Das Programm zeigt ihre königliche Macht im Zusammenhang ihrer Begegnung mit König Salomon. Die Suche der Königin von Saba nach der Weisheit Salomos erhält hier eine zusätzliche Dimension. Sie verkörpert das Bild des Königs von Frankreich, der von Salomo, als metaphorischer Figur der Kirche, die Prinzipien der guten Regierungsführung erfährt.“
In der Königin von Saba von Carl Goldmark wird kein Bezug genommen auf die schwarze Sulamith der Bibel und ihr Verhältnis zur Königin von Saba. Aber wenn die Sulamith der Oper ihre schönen Arien singt, wird sie von einem Chor begleitet, der Verse des Hohelieds singt, Salomos Liebeslied. So webt Goldmark meisterhaft das Hohelied in das Drama.
Leider hinterließen Nicolaus von Verdun und die anderen Künstler, die die Königin von Saba in den verschiedenen Kirchen schufen, ebenso wie diejenigen, die diese Kunstwerke in Auftrag gaben, keinen Hinweis darauf, warum die Königin von Saba als schwarze Frau dargestellt wurde.
Der Durchleuchtung dieses „salomonischen Rätsels“ wird sich ein wissenschaftliches Symposium zuwenden, das Pactum Africanum als Begleitveranstaltung der Opernaufführung im September 2019 plant.